James Francos Unterschied zwischen Körper und Geist. Von Rudi Specht

Von Rudi Specht

Kein geringerer als der US-amerikanische Tausendsassa James Franco (Schauspieler, Regisseur, Schriftsteller, Drehbuchautor, Filmproduzent und bildender Künstler) führt uns hier in einer wirklich fesselnden Dokumentation in die Welt eines Unternehmens ein, das sich der Produktion von pornografischen Filmen, speziell BDSM- (Bondage & Discipline, Dominance & Submission, Sadism & Masochism) und weiteren Fetischfilmen verschrieben hat.

Kink_Cover So erfahren wir in Bildern, die manchmal mehr zeigen, als einem lieb sein kann, aber manchmal auch kunstvoll zu verdecken wissen, was zu viel sein könnte, dass wir unsere bisherigen Vorstellungen, die wir vielleicht von einer Porno-Produktionsfirma und deren Mitarbeitern haben, getrost über Bord werfen können. Anstelle eines geifernden, ungepflegten Lustgreises mit zitternden Fingern an einer Kamera, die ein viel zu junges, unerfahrenes Mädchen ablichtet, die keine Ahnung hatte, worauf sie sich einließ, lernen wir den gebürtigen Engländer Peter Acworth kennen. Acworth leitet das Unternehmen Kink.com, welches mit Sitz in San Francisco mittlerweile vierzehn kostenpflichtige Websites betreibt, 90 feste Mitarbeiter beschäftigt und mit 70.000 zahlenden Abonnenten einen Jahresumsatz von 20 Millionen US-Dollar erzielt. Acworth zog 1996 in die USA, um an der Columbia University zu promovieren, kam über einen Zeitungsartikel auf die Idee, eine pornografische Website zu gründen und erreichte in kürzester Zeit eine so große Gewinnspanne, das er beschloss, das Studium abzubrechen und sich voll und ganz auf seinen neuen Industriezweig zu konzentrieren. Das passt so gar nicht zum Bild des „Schmuddelfilmers“.

Kink_00010 So werden im San Francisco Armory, einem historischen Gebäude und früheren Waffenarsenal der Nationalgarde, vergleichsweise hochwertige Pornos für ein Publikum mit eher speziellen Neigungen produziert. BDSM/Bondage, Fetish, Femdom, TS und Gay lauten denn auch die Bereiche, in denen produziert und konsumiert wird. Und dies unter extrem professionellen Bedingungen. Feinfühlig versteht es Regisseurin und Kamerafrau Christina Voros dieses besonders körperbetonte Genre zu ergründen und uns die treibenden Kräfte eines Unternehmens der „Industrie“, wie Mitwirkende den Pornofilmbetrieb bezeichnen, näher zu bringen.

Kink_00006 So lernen wir Produzenten und Protagonisten in sehr persönlicher Weise kennen, wie beispielsweise den Studenten, der sein Studium nicht aufgrund mangelnder Leistung abgebrochen hat, sondern weil er das Gefühl hatte, im Rahmen einer akademisch-konservativen Institution nicht der sein zu können, der er ist. Oder die knallharte Domina, die vor der Kamera als strenge Lehrerin ungehorsamen Schülerinnen das blanke Gesäß versohlt, im Interview aber in Tränen ausbricht, wenn sie keine Antwort auf die Frage findet, wie sie diesen Beruf ihren drei Kindern erklären soll, wenn diese irgendwann danach fragen. Und wir lernen Princess Donna kennen, Darstellerin und Regisseurin bei Kink.com, die von ihrem ersten Mal vor der Kamera erzählt. Sie berichtet, wie sie in der devoten Position vor der Kamera Hilfe suchend zur damals einzigen Frau am Set blickte, in der Hoffnung, diese würde ihre Leiden beenden, um dann festzustellen, dass es nur an ihr selbst liegt, das erlösende Kommando auszusprechen. Und so wurde sie sich in der unterwürfigen Rolle ihrer eigentlichen Machtposition bewusst, ihrer „Souveränität“, wie sie der Marquis de Sade in seinen Schriften definierte, und hielt den Schmerz aus, weil ihr Geist es so wollte und somit den Unterschied zwischen Körper und Geist spürbar machte.

Kink_00009 Der uneingeschränkt empfehlenswerte Dokumentarfilm belässt es sowieso bei weitem nicht dabei, uns die Produktionsbedingungen der „Industrie“ zu präsentieren. Vielmehr sieht sich der Zuschauer mit der kristallinen Zerbrechlichkeit seines Weltbildes konfrontiert, muss sich die Frage stellen, wer in einem Verhältnis der Mächte tatsächlich eine wie auch immer geartete Machtposition einnimmt. Er muss sich die Frage stellen, ob es sich bei den Protagonisten wirklich nur um Objekte vor der Kamera handelt, die lediglich dem Lustgewinn eines der 70.000 Abonnenten dienen, oder ob nicht der Zuschauer eigentlich der „Sklave“ ist. Gibt es auch hier einen rein männlichen Kamerablick, wenn es doch Darstellerinnen selbst sind, die hier die Regie übernehmen? Sind es die Darsteller, die an unserer Stelle leiden, damit wir, sinnlich und körperlich affiziert, am Ende erleichtert und befriedigt, vielleicht sogar gereinigt, unseren alltäglichen Tätigkeiten nachgehen können? Der Diskurs im filmwissenschaftlichen Bereich der Körpertheorien ist hiermit eröffnet.

Und Eros vergießt wieder Tränen.

___________________________________________________________

Kink – The 51st Shade Of Grey, USA 2013, R: Christina Voros, D: Peter Acworth, Maitresse Madeline, Chris Norris, Tomcat, Princess Donna

Anbieter: donau film