Was haben John Boorman, Charlotte Rampling und Sean Connery gemeinsam? Richtig! Alle wurden von Queen Elisabeth geadelt. Und: alle drei haben maßgeblich an einem Film mitgewirkt, der in der Bedeutungslosigkeit verschwunden ist – und das zu unrecht.
Heintlmeier und Schulz definieren ZARDOZ im Lexikon „Filme im Fernsehen“ als „anspruchsvoll-philosophischen Weltraumreißer, der auf religiöse und mythische Motive zurückgreift – stellenweise unfreiwillig komisch.“ Diese Charakterisierung ist eine erste Näherung; obgleich zu bezweifeln wäre, ob der britische Regisseur, Drehbuchautor und Filmproduzent John Boorman nicht auch stellenweise freiwillig komisch sein wollte.
Da der Film in der Zukunft spielt und der Regisseur auf eine Reihe von Spezialeffekten zurückgreift, die 1974 heißer Scheiß waren -und die den Film in nicht unerheblichen Maß zu dem machen, was er ist, nämlich ein Science-Fiction-Fantasy-Streifen-, erwächst hier eine besondere Form der Komik: Der Zuseher anno 2017 blickt erstaunt auf das, was Menschen anno 1974 in Erstaunen versetzte.
Zum Inhalt: Im Jahr 2293 besteht die Erdbevölkerung aus Brutalen und Ewigen. Die Brutalen leben in einer kargen, unwirtlichen Landschaft und werden vom scheinbar allmächtigen Zardoz unterjocht. Die Vollstrecker von Zardoz´ Willen sind die Exterminators, die die Brutalen zur Landwirtschaft antreiben. Die Ewigen kontrollieren die Kämpfer Zardoz´ über einen fliegenden Steinkopf; über ihn werden die Exterminators mit Waffen versorgt und das geerntete Getreide zu den Ewigen transportiert. Die Ewigen leben im Vortex – einem paradiesisch anmutenden Areal mit durchsichtigen, aber undurchschreitbaren Grenzen, die die Ewigen vor Eindringlingen schützen. Ein Tabernakel rekonstruiert die Ewigen im Falle ihres Todes, und doch können die Unsterblichen ihren Status nicht genießen; es fehlt ihnen die Abwechslung – ein Leben hat schon seine Längen, wenn man nicht sterben kann. Als der Exterminator Zed heimlich den Steinkopf entert, gelingt es ihm, in das Vortex zu gelangen. Dort trifft er auf Consuella und May, die ihn als Versuchskaninchen halten. Doch schnell wechseln die Rollen, und Zed führt -zu Sex und kritischer Reflektion befähigt- den Ewigen ihre Unzulänglichkeiten und Lügen vor Augen…
Boorman hat mit Charlotte Rampling und Sean Connery zwei Hauptdarsteller gewinnen können, die den Film mit ihrem Spiel tragen. Rampling stand noch am Anfang ihrer großen Karriere, Sean Connery hatte bereits als James Bond brilliert. In weiteren Rollen sehen wir Sara Kestelman, John Alderton und Niall Buggy. Für die Musik zeichnete David Munrow verantwortlich, die Kamera führte Geoffrey Unsworth.
Zardoz wurde mit einem vergleichsweise geringen Budget von einer Million Dollar realisiert. Der in Irland gedrehte Film war allerdings an den Kinokassen kein Erfolg. Ein Grund mag darin liegen, dass sich Boorman, wie Michael Kienzl schreibt, sich „vollkommen seinen maßlosen Gedankenspielen hingibt.“ Die Komplexität an Assoziationen führt in der Tat zu einem cognitive overload; an mehreren Stellen möchte man den Film anhalten und über das Nachdenken, was man gerade gesehen hat. Diejenigen, die dieses Bedürfnis nicht verspüren, haben vermutlich ohnehin schon früh abgeschaltet.
Die Darstellung des Miteinanders der Protagonisten ist recht bieder konzipiert: eine futuristische Gesellschaft, in der die unsterblichen Ewigen mit Hilfe blind gehorchender Schergen die archaischen Brutalen beherrschen. Das Muster kennen wir aus Feudalgesellschaften, in denen der Adel und der Klerus das Volk nach den Prinzipien von Macht und Herrschaft konsequent ausbeutet. Generalisierte, basale Mechanismen bestimmen die Evolution – von der Entwicklung des Menschen im Naturzustand bis hin zur höfischen Gesellschaft, von der Aufklärung bis zum Nationalsozialismus, von der Demokratie bis hin zur Gesellschaft der Zukunft finden wir immer wieder die gleichen Muster und Regelmäßigkeiten. Die Freiheit des Einzelnen ist auf ein Minimum beschränkt, und die Bereitschaft zur Akzeptanz gesellschaftlicher Ungleichheiten scheinbar unabänderlich in die genetische Struktur des Menschen eingeschrieben. Eine höhere Macht gibt es nicht, aber die Menschen sind willig und bereit an sie zu glauben – warum auch immer.
Zurück bleibt der Blick auf eine Dystopie: Die gesellschaftlichen Strukturen sind übermächtig und zwingen den Einzelnen in vorgefertigte Handlungsbahnen, in denen er schuldlos schuldig wird. Josef K. in Kafkas Der Prozess hat das akzeptiert, ohne es zu hinterfragen, und ergibt sich in sein Schicksal. Boorman projiziert dieses Bild auf die Gesellschaft der Zukunft: Die nahenden Katastrophen kann niemand abwenden, denn die Fähigkeiten der Menschen reichen nicht aus, einen Weg zu finden, die defizitären Strukturen zu zerstören; als Folge dieser Erkenntnis passen sich die Menschen an. Arrangieren sich. Betonen die Vorteile und blenden die Nachteile aus. So war es früher, so ist es heute, und so wird es auch morgen sein. Prädestinationslehre im Jahr 2293.
Zum Subtext und zu den Botschaften des Films: Boormans Protagonist Zed scheint in der Lage zu sein, aus dem Muster -man ist fast geneigt, es Matrix zu nennen- auszubrechen, denn er tötet seinen Gott. Und ruft den Resignierten, Angepassten, Verkopften scherbenlike zu: Macht kaputt, was euch kaputt macht. Doch weit gefehlt: nicht nur die Religion ist menschengemacht, sondern auch das, was gemeinhin als Gott oder Gottheit bezeichnet wird – von den einen geschaffen, um die anderen des eigenen Vorteils Willen zu manipulieren. Doch Boorman zeigt auf, dass es möglich ist, hinter die Fassade zu schauen – wenn man es denn will.
Die Menschen im Vortex sind unsterblich, und so scheint dort ein langgehegter Menschheitstraum in Erfüllung gegangen zu sein. Doch auch hier rebelliert Zed und stellt die bestehende Ordnung in Frage: Jeder sollte sterben dürfen, so seine Devise. Boorman dokumentiert so anschaulich den Konflikt zwischen Gesellschaft und Gemeinschaft, zwischen Selbstbestimmung und Fremdbestimmung, ohne dabei Partei zu ergreifen. Er überlässt es dem Zuseher, zu entscheiden, an wen er sein Herz hängt, wer die Guten und wer die Bösen sind, was richtig ist und was falsch.
Nur in einem wird Boorman deutlich: Wissen ist nicht der Motor der Erkenntnis und der Antriebsriemen der Evolution. Das ist die Evolution selbst – ein selbstreferentielles System, das nach eigenen Gesetzmäßigkeiten funktioniert. Zed initiiert zwar eine Revolution, die die bestehende Ordnung zerstört; doch an ihre Stelle tritt eine Ordnung, die lediglich andere Akzente setzt. Auch sie bleibt unvollkommen und wird früher oder später wieder abgelöst werden. Die Veränderungen sind richtungslos, nicht besser oder schlechter, sondern lediglich anders. Aus Altem wie Neues, und irgendwann ist es so, wie es schon einmal war. Mit Brutalen, Ewigen und dem Vortex. Geschichte wiederholt sich, und wir lernen – nichts.
Entsprechend löst Boorman die Story auf: Nach dem Hoffen, es könne einen Ausweg geben, und dass die Geschichte von mutigen Menschen gemacht wird, folgt die Enttäuschung: All das, was Zed anstellt, war von langer Hand -von Arthur Frayne- geplant. Der Mensch denkt, die falschen Götter lenken.
Zardoz ist ein bedeutendes Dokument der Zeitgeschichte. Er erinnert an Klassiker von Monthy Python, nur dass Boorman die Konfrontation gesellschaftlicher Auswüchse und Irrationalitäten nicht mit den Mittel der Komik auflöst. Boorman verwendet als Folie die Charakteristika der griechischen Tragödie: Schuld und Sühne, das Verhältnis von Gut und Böse, der Mensch und sein Schicksal und nicht zuletzt die Seinsfrage. Und er stellt die Frage, welchen Preis man bereit ist zu zahlen, um Ziele -wie die Unsterblichkeit- zu erreichen: Das Leben als Kosten-Nutzen-Analyse. Nur die Alten -im Film die Renegaten- haben die Analyse bereits abgeschlossen: Sie sehnen sich nach dem Vergessen und dem süßen Tod. Die, die erkennen, wollen vergessen.
Einiges von dem, was Boorman inszeniert, ließe sich in Frage stellen. So hätte anschaulicher herausgearbeitet werden können, was letztlich den Sinneswandel der Protagonisten bewirkt – warum steigt Zed in den Steinkopf, warum stellen Ewige das ewige Konzept in Frage, warum wird das Brot in einer Mühle nach traditionellem Verfahren hergestellt, um dann den gewalkten Teig in einem Wunderwerk von Technik gebacken zu werden? Soll es heißen, dass sich die Technikentwicklung nicht steuern lässt, dass der Mensch den Blick für das Wesentliche verloren hat, dass der Mensch der Technik Untertan geworden ist? Hier ließen sich eine Reihe philosophisch-soziologischer Ansatzpunkte finden, um zu erklären, warum die Brüche im Verhalten der Akteure mitunter nur angedeutet werden, und so ist der Film ein Steinbruch an Versatzstücken, die zum Nachdenken anregen. Es könnte aber auch sein, dass einige Ideen nicht ganz zu Ende gedacht wurden; Unsterbliche mit der Fähigkeit zu abstraktem Denken sollten doch irgendwann mal Zeit zur Klärung der Frage nach den Ursachen der Peniserektion gefunden haben. Und dennoch: Der Film unterhält, bildet und -vor allem- hallt nach. Was kann man mehr von einem Film verlangen?
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Zardoz, Irland / USA 1974, R: John Boorman, D: Sean Connery, Charlotte Rampling, Sara Kestelman, John Alderton, Niall Buggy u.a.
Anbieter: Koch Media