Mario Bava Exkurse (2): Und wenn sie endlich gestorben sind …

BARON BLOOD wird oft als Bavas letzter „Gothic Horror“-Film bezeichnet. Zum einen ist der Film tatsächlich voll von typischen Schauereffekten und (Formalismen), andererseits enthält er sehr viele moderne Versatzstücke, die ihn zu einem sehr „ungotischen“ Film machen, denn die Siebziger Jahre sind (wie die Sechziger) bei Bava alles andere als spurlos vorbei gegangen. Dass beide Ansichten korrekt sind, hat seinen Grund. Mario Bava wendete in BARON BLOOD seinen Blick nämlich von der Gegenwart in wahrhaft gotische Gefilde: Die gothic Vergangenheit lebt in der 70ties-Gegenwart auf. Bava setzt sich mit dem vergangenen und gegenwärtigen Deutschen auseinander. Oder, etwas weniger pathetisch: BARON BLOOD ist durchzogen von vielen deutschen Motiven und Themen.

Das beginnt schon beim Titel, denn der Originaltitel des Films lautet GLI ORRORI DEL CASTELLO DI NORIMBERGA (sinngemäss: Das Grauen des Schlosses von Nürnberg). Das ist einigermassen verblüffend, spielt der Film doch auch im italienischen Original in Österreich (Flughafen: Wien). Vielleicht bezieht sich „Norimberga“ auch gleich auf die Foltermethode, die während des Films erwähnt wird, die „Vergine di Normimberga“ (Jungfrau von Nürnberg). Alt gedacht wählte Bava diesen kuriosen Titel, weil er natürlich an die grausame Foltermethode anspielen wollte (die vermeintlich aus dem Mittelalter stammt), von den kritischen Siebzigern her gedacht repräsentierte Nürnberg natürlich auch die Abrechnung mit dem Nazismus (Nürnberger Prozesse).

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Bei der Geschichte handelt es sich um eine Aufdeckungsstory mit übernatürlichen Elementen. Auch dabei scheint sich Bava nicht entscheiden zu können zwischen alter Gothic-Horror-Funktionsweise und Seventies-Grusel. Peter Kleist (Antonio Cantafora) reist aus den USA nach Wien, um sein geerbtes Schloss zu besuchen und anzusehen. Er wird von Professor Hummel (Massimo Girotti) und dessen Assistentin Eva Arnold (Elke Sommer) abgeholt, die ihm die Burg zeigen. Ungläubig wie er ist, erweckt Kleist mit dem Zauberspruch „Kunik sator holmat“ seinen Urahn Baron Otto von Kleist zum Leben, auf dem ein Fluch lastete. Der sadistische Von Kleist hatte viele Menschleben auf dem Gewissen – und beginnt frisch erweckt nun wieder zu morden. Diese reanimierte Gruselfigur repräsentiert voll und ganz die gotische Schauertradition. Das Mittelalter dringt in die Neuzeit ein.

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Um den Fluch der von Otto Von Kleists Zeitgenossin, der Hexe Elisabeth Holle, wieder zu aktivieren, suchen Peter und Eva die Hexe Christine auf (Rada Rassimov), deren Spuk nun die aktuellen Siebziger-Jahre-Gruseltrends heraufbeschwört: Folk Horror und übersinnliche Kräfte. Das Ende des Film enthüllt schliesslich, dass es sich bei Millionär Alfred Becker (Joseph Cotten), der das Schloss im Eiltempo kaufen konnte, um den grausamen mittelalterlichen Folterer Otto von Kleist handelt.

Wer nun bereits beim Lesen der Namen eine Augenbraue nach oben zog, liegt richtig: Schon in der Namensgebung setzt Bava ein buntes Bezugssystem an Germanismen in Bewegung. Vom Literaten (Heinrich) Kleist über den dubiosen Politiker Otto Von (Hindenburg), die fantastische Märchenwelt mit (Frau) Holle oder Professor Hummel, der nicht zuletzt an den grossen deutschen Naturforscher Alexander von Humboldt anklingt. Bei der Namenswahl wird sich der Zuseher immer der deutschen Geisteswelt mitbewusst.

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Zurück ins Mittelalter: Während die überaus plakativ, in Seventies-Coolness gekleidete Eva Arnold vor dem wiedererweckten Otto von Kleist durch eine vernebelte, labyrinthische österreichische Mittelalterstadt flüchtet, trägt sie eine rote Mütze. Dieses Rotkäppchen-Motiv bleibt in der Folge nicht das einzige. Wenn das kleine Mädchen allein Richtung Schloss geht, wird uns ebenso mit Grimmscher Art gegruselt: Das Mädchen verliert einen Apfel, Von Kleist findet ihn, usw..

Achtung Spoiler!
Am Ende erweisen sich all diese Anspielungen nicht als Zufall. Denn spätestens mit der Figur des Moguls Alfred Becker (Joseph Cotton), der sich als Reinkarnation von Otto von Kleist enpuppt, kommt der Nazismus (die aktuelle Variante des Folterns?!) wieder ins Spiel. Schliesslich rollt Becker selbstbewusst im Rollstuhl durch die Burg, wie der Altnazi Dr. Strangelove in Kubriks DR. STRANGELOVE. Fehlte nur noch, dass Becker die Hand in die Höhe reckt (tut er aber nicht). Unser Mittelalter-Mörder Otto von Kleist hat also eine moderne Entsprechung gefunden: Alfred Becker ist dessen aktuelle Variante. Die Dämonen des Dritten Reiches haben diejenigen des Mittelalters abgelöst, während Peter Kleist (ohne „Von“)den 68er Typus repräsentiert: er will die Verbrechen der Vergangenheit aufarbeiten.

Baron Blood – Gli orrori del castello di Norimberga
Italien / Deutschland 1972
Regie: Mario Bava
Drehbuch: Vincent G. Fotre, Willibald Eser, Mario Bava
Musik: Stelvio Cipriani
Darsteller: Antonio Cantafora, Joseph Cotten, Elke Sommer, Massimo Girotti, Rada Rassimov
Laufzeit: 98 min.