Mit Van Helsing zur Ü100-Party.

1971 häuften sich in der Chefetage von Hammer Films die Krisensitzungen. SCARS OF DRACULA (1970) hatte sich trotz einer bis dahin im Gestus ungekannten Ebene von Blut und Gewalt als ziemlicher Flop erwiesen, das Franchise um den Vampirfürsten schien sich in eine Sackgasse manövriert zu haben. Argwöhnisch nahm man indessen die weltweiten Erfolge aus den USA zur Kenntnis, wo mit COUNT YORGA, VAMPIRE (1970) – der in Deutschland witziger Weise als JUNGES BLUT FÜR DRACULA vermarktet wurde – und dessen Fortsetzung THE RETURN OF COUNT YORGA / YORGA RETURNS (1971) ein Vampircharakter reüssierte, der sich in der damaligen Jetzt-Zeit als kassenkräftig erwies. Somit wagte man bei Hammer Films – bedingt durch den Druck von Warner Bros., die als Vertriebspartner auf kommerzielle Erfolge drängten – ein mutiges Experiment, um dem Teufel mit den markanten Eckzähnen eine radikale Frischzellenkur zu verpassen und für jugendliche Kinogänger wieder modern und interessant werden zu lassen.

DraculaMiniMädchen_Poster 1872 wird Graf Dracula (Christopher Lee) von Professor Van Helsing (Peter Cushing) anscheinend endgültig besiegt – beide finden im Londoner Hyde Park den Tod. Doch hundert Jahre später wird der Graf von seinem Jünger Johnny Alucard (Christopher Neame) zu neuem Leben erweckt und bedarf frischen Blutes, wozu ihm Alucard junge Mädchen aus seiner Clique zuführt. Als Inspektor Murray (Michael Coles) sich auf diese seltsam entstellten Opfer keinen Reim machen kann, kontaktiert er einen Experten für Vampirismus: Van Helsings Urenkel (Peter Cushing), bringt ihn auf die richtige Spur und begreift, dass seine Enkelin Jessica (Stephanie Beacham) in höchster Gefahr ist. Denn Dracula will blutige Rache nehmen an der Familie Van Helsing und so kommt es in der entweihten Kirche St. Bartolph’s zum Endkampf zwischen „Gut“ und „Böse“.

DraculaMiniMädchen_4 Inspiriert durch die Geschehnisse um den ‚Highgate Vampire‘, die im London der frühen 1970er aufhorchen ließen, entwickelte man eine Story, die sich zwar wenig um die innere Kontinuität der Vorgängerfilme scherte, aber versuchte, die Wiedererweckung Draculas im Jahre 1972 glaubhaft zu machen. Inhaltlich respektabel gelöst, wenn auch nicht vollends stringent in der Umsetzung, gelang bei der Besetzung der Coup, sowohl Christopher Lee als auch Peter Cushing für Ihre Dracula-/Van-Helsing-Rollen zurückzuholen; sogar in dieser Paarung erstmals wieder seit dem originalen DRACULA (1958). Gerade Cushing zeigte, dass er zwar äußerlich älter und noch drahtiger geworden, jedoch schauspielerisch im Zenit seines Könnens war. Neben Caroline Munro, deren Auftritt lange im Gedächtnis blieb und sie für weitere Hammer-Verpflichtungen empfahl, konnten Stephanie Beacham und Christopher Neame wirkungsvolle Akzente der jungen Generation setzen.

DraculaMiniMädchen_3 Gemeinsam mit Kameramann Dick Bush gelang es Regisseur Alan Gibson gekonnt, sowohl die stimmungsvollen Dekorationen und als auch die faszinierende Aura der beiden ‚leading men‘ mit dem turbulenten London-Lifestyle der Beat-Generation in Einklang zu bringen. Die visuelle Gestaltung modernisierte den bewährten Bildstil der Hammer-Schmiede und zeigte, welche Möglichkeiten das zeitlose Sujet nach wie vor bot. Auch wenn der viktorianische Touch scheins untrennbar zur Dracula-Figur gehörte, offenbarte der Film, dass es durchaus auch anders ging, ohne in einen parodistischen Ansatz überwechseln zu müssen.

Auch für den Soundtrack wollte man neue Wege gehen und engagierte mit Mike Vickers einen jungen Komponisten, der sich als Gitarrist/Saxophonist bei der legendären Band Manfred Mann Meriten erworben hatte und eine Abkehr vom symphonischen Idiom bedeutete. Vickers ersann, neben psychedelischen und im Free Jazz zu verortenden Klangcollagen, klassischen Horrorsound, peppte diesen allerdings mit fetzigen Beatrhythmen und an SHAFT (1971) gemahnende Wah-wah-Gitarren auf. Lee und Cushing zu wildem Uptempo-Groove durchs von Neonreklame erhellte London fegen zu sehen, gab dem Ganzes das ‚gewisse Etwas‘. Dass Vickers mit Steve Gray an der Orgel, den Saxophonisten Alan Skidmore & Stan Sulzman, dem Gitarristen Alan Parker und Drummer Ronnie Verrell die besten Musiker der damalig florierenden Studioszene der Themsemetropole zusammentrommelte, ist dem Score – der bei BSX Records auf CD erhältlich ist – deutlich anzuhören. Die beiden Tracks der Gruppe Stoneground – die im Film einen Cameoauftritt absolvieren – sorgten für zusätzliche Atmosphäre.

DraculaMiniMädchen_2 Bereits seit einiger Zeit auf Blu-ray erhältlich, brachte nun Anolis eine technisch verbesserte Version in ihrer Hammer-Edition heraus. Neben einem Mediabook, das in mehreren Cover-Varianten erscheint, ist auch eine abgespeckte Fassung erschienen. Das Breitwand-Bild erstrahlt in bisher nicht dagewesener Pracht, wobei die nach wie vor erstklassigen Sets und grellen Farbspektakel des Londons der frühen 1970er hervorragend zur Geltung kommen. Die deutsche, in München entstandene Synchronfassung punktet neben hervorragenden Sprechern – so ist mit Herbert Weicker wieder Christopher Lees prägnanteste Synchronstimme zu hören – mit einem hochsprachlichen und passechten Dialogbuch; der englische Originalton versteht sich in dieser Edition von selbst. Mit Extras wird erneut nicht gegeizt, wobei der Audiokommentar mit dem erprobten Duo Dr. Rolf Giesen und Uwe Sommerlad erneut kenntnisreich und liebevoll geraten ist, außerdem mit Alexander Iffländer eine inhaltliche Bereicherung erfährt. In den exklusiv nur auf dieser Veröffentlichung erhältlichen Dokumentationen „Dracula A.D. 1972: Updating“ und „Dracula A.D. 1972 – Music“ wird auf die unterschiedlichsten Hintergründe der Produktion im Allgemeinen und die vielschichtigen Kompositionen von Mike Vickers im Besonderen eingegangen. Als Interviewpartner stehen u.a Regisseur Joe Dante, Aktrice Caroline Munro, Musikwissenschaftler Dr. David Huckvale sowie die Hammerkenner Christopher Frayling und Jonathan Rigby parat. Neben dem britischen und deutschen Kinotrailer und den opulenten Bildergalerien mit der dazugehörigen, britischen Ad Card, finden der deutsche Werberatschlag und Abbildungen des Filmprogramms Verwendung. Ein vierundzwanzigseitiges Booklet, geschrieben von Dr. Rolf Giesen und Lars Dreyer-Winkelmann, winkt darüber hinaus exklusiv nur den Käufern der Mediabook-Variante.

DraculaMiniMädchen_1 Auch wenn das damalige Publikum den Reboot des Franchise mit DRACULA JAGT MINI-MÄDCHEN nicht ganz widerspruchslos mitmachte und die Kritiker ihn nahezu durch die Bank verrissen, so ist der Streifen aus heutiger Sicht doch wunderbar gealtert und mittlerweile fantastisches Zeitkolorit für mindestens zwei ganz unterschiedliche Epochen. Zum Glück der Filmfans findet der Satz „Requiescat in pace ultima“ nicht immer seine Erfüllung – Beat & Schlaghose lassen noch jeden Dracula wieder auferstehen.

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Dracula A.D. ’72, GB 1972, R: Alan Gibson, D: Christopher Lee, Peter Cushing, Stephanie Beacham, Marsha Hunt, Christopher Neame, Caroline Munro u. a.

Anbieter: Anolis Entertainment